Quelle:
US-Fachblatt
New England Journal of Medicine
Entzündliche
Darmerkrankungen: Neue Behandlungschancen bei Morbus Crohn
Zwei in einem renommierten US-Fachblatt veröffentlichte Studien
belegen die Sicherheit und Wirksamkeit von Certolizumab Pegol
, einem neuen, biotechnologisch hergestellten Medikament.
Die Zulassung für die Behandlung von Morbus Crohn wurde in den
USA und in Europa beantragt.
Von Dr. med. Jochen Kubitschek
Es gibt Krankheiten über die in der Öffentlichkeit viel gesprochen
wird – und es gibt Leiden die außerhalb der Fachkreise kaum bekannt
sind und die im Zweifelsfall von den betroffenen Patienten aus
psychologisch nachvollziehbaren Gründen auch eher verheimlicht
werden. Zur Gruppe dieser „stillen Krankheiten“ gehört der Morbus
Crohn – eine chronisch verlaufende, entzündliche Darmerkrankung,
die die Patienten in einer für Außenstehende kaum vorstellbaren
Weise belastet.
Derzeit gibt es in Deutschland etwa 150.000 Patienten, die an
einem Morbus-Crohn leiden. Wenn die in erster Linie durch
Erbfaktoren angelegte und durch Rauchen sowie vermutlich durch
einige Zivilisationsfaktoren geförderte Krankheit meist zwischen
dem 16. und 35. Lebensjahr ausbricht, ist für viele Betroffene
das Leben wie sie es bisher kannten ein für alle Male zu Ende.
Bei schweren Verlaufsformen ist an ein „normales“ gesellschaftliches
Leben nicht mehr zu denken. Wunschberufe werden für die jungen
Menschen unerreichbar, die Fähigkeit Partnerschaften einzugehen
oder gar eine Familie zu gründen werden zu einem unrealistischen
Traum. Oft führt der Morbus Crohn in die Isolation und
Vereinsamung – nur das Internet ermöglicht heute den anonymen
Kontakt zu anderen Betroffenen, bzw. spezialisierten Ärzten. In
Ausnahmefällen kann die Erkrankung aufgrund nicht mehr beherrschbarer
Komplikationen sogar zum Tode führen.
Die meisten Morbus Crohn-Patienten leiden unter starken Bauchschmerzen,
massiven blutigen Durchfällen, dauerhafter Müdigkeit, starkem
Gewichtsverlust sowie Fieber, Übelkeit und Erbrechen. Bei bis
zu 18 Stuhlgängen pro Tag retten sie sich oft von Toilette zu
Toilette - eine Planung von Aktionen die sie dazu zwingen das
Haus zu verlassen wird somit zur Illusion. Besonders hart getroffene
Patienten haben mehrere Fisteln in der eitrig entzündeten Bauchdecke
durch die der Darminhalt nach außen quillt – eine schreckliche
Belastung für die Lebensqualität. In solchen Fällen versagen oft
alle konservativen Therapien – es müssen dann Teile oder sogar
der ganze Darm chirurgisch entfernt werden. Aber selbst diese
massive Verstümmelung verschafft den Kranken gelegentlich keine
große Erleichterung, da die oft eitrigen Entzündungen auch außerhalb
des Darms an anderen Körperteilen und Organen auftreten und den
betroffenen Kranken schwer zu schaffen machen.
Die Morbus Crohn-Patienten befinden sich außerdem immer in der
seelisch belastenden Ungewissheit, ob der vom Arzt zusammengestellte
Medikamenten-Cocktail auch wirklich hilft und wie lange eine einmal
eingetretene Wirkung - eine eingetretene Remission also - anhält.
Wie bei allen Krankheiten deren tatsächliche Ursache unbekannt
ist, werden auch beim Morbus Crohn zahlreiche Medikamente
in den unterschiedlichsten Kombinationen eingesetzt. Trotz aller
erreichten therapeutischen Fortschritte existiert aber bisher
keine sog. „Standardtherapie“ die zuverlässig bei jedem Patienten
zu einer Besserung der dramatischen Beschwerden führt und gleichzeitig
von dem Kranken auch gut vertragen wird. Daher wird die Behandlung
bei jedem Patienten vom jeweiligen Arzt individuell zusammengestellt.
Kaum ein Morbus Crohn-Patient kommt allerdings - vor allem im
Verlauf eines akuten Krankheits-Schubs – um den massiven Einsatz
von hochwirksamen Kortisonpräparaten herum. Diese wirken anfänglich
meist gut und schnell – nur leider lässt die Wirksamkeit oft nach
einiger Zeit nach. Außerdem führt die Anwendung nach einigen Jahren
zu so schweren Nebenwirkungen, dass die mit der Krankheit befassten
Magen-Darmspezialisten dringend nach Therapiealternativen suchen.
Bereits nach sechs Jahren Dauereinsatz sind die Patienten aufgrund
des sich unter der Kortisontherapie einstellenden Knochenschwunds
– die Ärzte sprechen von einer Steroid-Osteoporose - um bis zu
12 cm kleiner. Knochenbrüche und teilweise unerträgliche Schmerzen
können die Folge sein. Oder es kommt zum zusätzlichen Ausbruch
einer medikamentenbedingten Zuckerkrankheit. Während sich die
Wissenschaftler noch streiten, ob der Morbus Crohn generell zu
einer Verminderung der Lebenserwartung führt, steht dieses Risiko
aufgrund der Spätfolgen einer Zuckerkrankheit längst fest.
Große Hoffnung wurde schon vor Jahren auf den beim Menschen vorkommenden
Anti-TNF - den sog. Anti-Tumornekrosefaktor - gesetzt. Bei dieser
Wirkstoffgruppe handelt es sich um biotechnologisch hergestellte
Medikamente die man zur Gruppe der „Biologicals“ zählt. Die bisher
verfügbaren Vertreter dieser Gruppe wirken zwar rasch – auch bei
Komplikationen wie Fistelbildung – doch die beobachteten unerwünschten
Begleiterscheinungen der aufwändigen Therapie wie lokale entzündliche
Infusionsreaktionen und rascher Wirkungsverlust durch Antikörperbildung
sowie die Gefahr von bedrohlichen Infektionen (z.B. Tuberkulose)
schränken die breite Verwendbarkeit ein. In Deutschland kommen
nur etwa 1% der Patienten in den Genuss dieser schweren Fällen
vorbehaltenen Therapie. In den USA sind es 6%.
Dies könnte sich in bereits in naher Zukunft ändern, da vor wenigen
Tagen im renommierten New England Journal of Medicine
(NEJM) mit PRECISE I und PRECISE II zwei wissenschaftliche Studien
publiziert wurden, die die gute Wirksamkeit einer neuen anti-TNF-Therapie
belegen. Eine der Studien wurde unter Leitung von Professor Stefan
Schreiber, Universität Kiel, konzipiert und durchgeführt.
Der von der Firma UCB entwickelte Wirkstoff Certolizumab Pegol
ist ein neuartiger Repräsentant einer Gruppe von Molekülen, die
sich gegen den menschlichen Tumor-Nekrosefaktor (TNF) richten.
Wie die beiden Studien zeigen ist er sicher und patientenfreundlich
anzuwenden und wirkt gut. Was Certolizumab Pegol von anderen
ähnlichen Wirkstoffen unterscheidet sind in erster Linie drei
Eigenschaften, die sich bei der vorauszusehenden breiten Anwendung
der Substanz als extrem wichtig erweisen dürften:
die neue Substanz kann von den Patienten selbst unter die Haut
– also subkutan – injiziert werden. Komplikationen der Infusionsbehandlung
entfallen somit.
Außerdem enthält sie vergleichsweise wenig Einweiß das die Bildung
jener Antikörper begünstigt, die die Wirksamkeit des Medikaments
blockieren können. In den nun vorgelegten PRECISE-Studien
lag die Häufigkeit der Antikörperbildung unter 10%. Die Experten
hatten außerdem den Eindruck, dass die nachgewiesenen Antikörper
bei Morbus Crohn die Wirkung des Medikaments nicht aufhoben.
Und schließlich enthält das Certolizumab Pegol -Molekül
nicht die sog. „Fc-Region“, die bei Laboruntersuchungen für die
Zellgiftigkeit von anti-TNF verantwortlich gemacht wurde.
Dr. Guido Schopen, der für Certolizumab Pegol zuständige
leitende Mitarbeiter der UCB-GmbH, Kerpen-Sinndorf, brachte auf
einer Pressekonferenz einen weiteren Aspekt zur Sprache: „Das
unterschiedliche molekulare Design von Certolizumab Pegol lässt
für die Zukunft auf neue Erkenntnisse hoffen, welche Bereiche
eines anti-TNF-Antikörpers für die klinische Wirkung notwendig
, bzw. welche überflüssig und potentiell unerwünscht sind.“
Das Unternehmen UCB hat für Certolizumab Pegol sowohl bei
der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA, als auch bei der
europäischen Arzneimittelbehörde EMEA Zulassungsanträge für die
Anwendung bei Morbus Crohn gestellt.
Weitere
Informationen zum Morbus Crohn finden Sie in Wickipedia
hier
Eine
englischsprachige Kurzversion der PRECISE I-Studie (sog. MEDLINE
Abstract) finden Sie
hier
N
Engl J Med. 2007 Jul 19;357(3):239-50.
Maintenance therapy with certolizumab pegol for Crohn's disease.
Schreiber S, Khaliq-Kareemi M, Lawrance IC, Thomsen OØ, Hanauer
SB, McColm J, Bloomfield R, Sandborn WJ; PRECISE 2 Study Investigators.
Hospital for General Internal Medicine, Christian Albrechts University,
Kiel, Germany. s.schreiber@mucosa.de
CONCLUSIONS: Patients with moderate-to-severe Crohn's disease
who had a response to induction therapy with 400 mg of certolizumab
pegol were more likely to have a maintained response and a remission
at 26 weeks with continued certolizumab pegol treatment than with
a switch to placebo. (ClinicalTrials.gov number, NCT00152425 [ClinicalTrials.gov].).
Copyright 2007 Massachusetts Medical Society.
PMID: 17634459 [PubMed - in process]
Eine
englischsprachige Kurzversion der PRECISE II-Studie (sog. MEDLINE
Abstract) finden Sie
hier
N
Engl J Med. 2007 Jul 19;357(3):228-38.
Certolizumab pegol for the treatment of Crohn's disease.
Sandborn WJ, Feagan BG, Stoinov S, Honiball PJ, Rutgeerts P, Mason
D, Bloomfield R, Schreiber S; PRECISE 1 Study Investigators.
Division of Gastroenterology and Hepatology, Mayo Clinic, Rochester,
MN 55905, USA. sandborn.william@mayo.edu
CONCLUSIONS: In patients with moderate-to-severe Crohn's disease,
induction and maintenance therapy with certolizumab pegol was
associated with a modest improvement in response rates, as compared
with placebo, but with no significant improvement in remission
rates. (ClinicalTrials.gov number, NCT00152490 [ClinicalTrials.gov].).
PMID:
17634458 [PubMed - in process]
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