Kontrollierte
Modellstudie von Zellen - ein Biochip als Minilabor
Wissenschaftler
können jetzt erstmals die Wirkung von Antibiotika unter
komplexen Bedingungen testen, die beispielsweise der Situation
von Patienten mit infizierten Kathetern vergleichbar sind.
von
Dr. Joachim Eiding
Amerikanische
Physiker haben erstmals in einer Modellstudie überprüft,
wie sich Bakterien über einen längeren Zeitraum
in einem Verbund verhalten. Prinzipiell weisen Mikroorganismen
in einer Gruppe andere Eigenschaften auf als einzelne Zellen,
unterliegen beispielsweise bestimmten Mutationen. Hier gelang
es den Forschern, ein System mit Kolibakterien über
einen Zeitraum von 200 Stunden störungsfrei zu beobachten.
In
der Medizin spielt das Phänomen der Biofilme, den bestimmte
Kleinstlebewesen bilden können, seit Jahren eine große
Rolle. Haben sich im Körper beispielsweise Kolibakterien
erst einmal zu einer organischen Gruppe zusammengerottet,
herrschen ähnlich wie beim Menschen andere Gesetze
die Regeln eines Teams. Nach dem Motto Gemeinsam
sind wir stark riegeln sie sich nach außen ab,
wehren sich erfolgreich gegen Antibiotika und andere Arzneimittel.
Händeringend versuchen Mediziner seit langem, das Verhalten
von Zellen-Verbänden zu studieren, in dem sie ihre
Gruppeneigenschaften umgehen.
Völlig
neue Erkenntnisse bietet nun ein Forscherteam um den Physiker
Frederick Balagaddé vom California Institute of Technology
in Pasadena, USA (www.caltech.edu) im Magazin Science (www.sciencemag.org)
(Band 309, Seite 137, 2005). Den Naturwissenschaftlern ist
es gelungen, ein kontrolliertes System von Bakterienverbänden
über einen Zeitraum von 200 Stunden zu beobachten.
Zu diesem Zweck verfolgten sie die Idee, ein tatsächlich
existierendes Makrosystem auf einem Mikromaßstab abzubilden.
Sie entwickelten eine spezielle Kleinstapparatur: Auf einem
Chip, nicht größer als eine amerikanische Zehn-Cent-Münze,
montierten die Physiker sechs unabhängige, winzige
Bioreaktoren. In jedes dieser Mikrogefäße, mit
einem Volumen von 16 Nanolitern, gaben sie je eine Lösung
von nur 100 bis 10.000 Bakterien der Art Escherichia coli
(E. coli). Dabei griffen die Forscher auf zwei verschiedene
Stämme der Mikroorganismen zurück.
Die
Reaktionsgefäße waren prinzipiell als eine Art
Kreislauf konzipiert, der maschinell vom Computerchip gelenkt
wird und neben so genannten Wachstumskammern auch eine peristaltische
Pumpe enthält. Auf diese Weise konnten die Physiker
ohne Probleme den Einfluss von Parametern wie Konzentration
und Menge der Einzelzellen sowie die Pumpengeschwindigkeit
der Apparatur auf das Verhalten der Bakterienstämme
austesten. Die Zirkulationen verhinderten außerdem
durch regelmäßige Waschvorgänge,
dass sich in den dünnen Kapillaren Biofilme ablagerten.
Variable
Versuchsbedingungen
In
den sechs Minibehältern herrschten stets verschiedene
Versuchsbedingungen: Während Balagaddé beim
Bakterienstamm in den ersten drei Bioreaktoren ein spezielles
Signalsystem einbaute und sehr viele Parameter variierte,
verfuhr er beim zweiten Stamm in den letzten drei Kleinstkochtöpfen
deutlich moderater.
Im
Detail: Die Arbeitsgruppe beobachtete in den ersten drei
Reaktoren, dass sich die Bakterien zunächst vermehrten.
Damit das Wachstum der Zellkultur nicht endlos fortschreiten
konnte, nutzten die Wissenschaftler hier ein künstliches
Bio-Signalsystem, als Quorum-Sensing bekannt.
Es regelt die Konzentration der Zellen auf seine Weise:
Einzelne Stämme an Kolibakterien produzieren bestimmte
Biomoleküle, Pheromone, wie beispielsweise Acyl-Homoserinlactone
(AHL). Diese Signalmoleküle sind in der Lage, festzustellen,
wie viele Artgenossen in einer Lösung vorhanden sind,
dienen der internen Kommunikation. Dazu müssen
die Forscher den Bakterien noch einen Akzeptor einpflanzen
ein charakteristisches Plasmid, das nicht zum Erbgut
gehört.
Übersteigt
die Anzahl der Kleinstorganismen einen spezifischen Grenzwert,
aktivieren diese AHL-Moleküle einen bestimmten Abschnitt
auf diesem Plasmid. Dieser bewirkt die Produktion eines
so genannten Killer-Proteins, das zum sofortigen
Zelltod führt. Damit sinkt die Konzentration der Bakterien
auf einen niedrigen Level. Nachdem nun außerdem die
Mikroapparatur die Probe zu diesem Zeitpunkt noch verdünnt,
sinkt auch die Anzahl der Killer-Eiweiße.
Damit kann die Konzentration der Bakterien wieder ansteigen
und der Kreis schließt sich hier. Das Experiment geht
in diesem Bioreaktor in die zweite Schleife.
Erfolgreiche
Langzeitstudie
Die
Proben in den ersten drei Minibehältern brauchen auf
diese Weise drei bis vier Umläufe, bis sich ein stabiles
Gleichgewicht im Reaktor eingestellt hat und jede weitere
Messung sinnlos wird. Dazu benötigte das System knapp
200 Stunden. Somit haben die Physiker hier zum ersten Mal
ungewöhnlich lange Zeit, um das Verhalten von Kolibakterien
zu studieren. Die anderen drei Gefäße stoppten
die Durchläufe schon nach etwa 100 Stunden.
Dieser
´Mikrochemostat´ hat es uns ermöglicht,
die Entwicklung von bakteriellem Wachstum über Hunderte
von Stunden zu verfolgen, freut sich Frederick Balagaddé.
Seine Methode gestattet es, ideale Versuchsbedingungen für
ein größeres System an Bakterien auszuprobieren.
So könnten Wissenschaftler endlich auch Antibiotika
nun unter komplexeren Bedingungen testen, die der Situation
von Patienten mit beispielsweise infizierten Kathetern viel
ähnlicher ist. Daher schätzt der amerikanische
Physiker, dass seine neue Methode besonders in der Medizin
und der Pharmazie mit Erfolg angewendet werden kann. Ebenso
erscheint es auch möglich, eines Tages ein solches
Versuchssystem per Computer online und in Echtzeit
zu überwachen.
Bilder:
BU:
Chip mit sechs unabhängigen Mikrochemostaten. Die kleinen
Kanäle sind mit Lebensmittelfarbstoff gefüllt
Foto:
Frederick Balagaddé
BU:
Chip mit sechs unabhängigen Mikrochemostaten. Die kleinen
Kanäle sind mit Lebensmittelfarbstoff gefüllt
Foto:
Frederick Balagaddé
BU:
Eine Auswahl von vier Mikrochemostaten, die wachsende Bakterien
überwachen. Die Bedingungen in den Chemostaten werden
durch ein kleines Rohrnetzwerk kontrolliert, dessen Kanäle
mit Lebensmittelfarbstoff gefüllt sind
Foto:
Frederick Balagaddé
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