Masaracchia,
Regina:
Gespaltene
Gefühle
Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalten: ein Elternratgeber
Hintergrundinformation
Text © 2005 Regina
Masaracchia
Das
generelle Risiko einer angeborenen Fehlbildung liegt in der
Bevölkerung bei 3 %. Jedes 500 ste Baby wird mit einer Spaltfehlbildung
geboren, was bedeutet, dass diese Fehlbildung die 2.haeufigste
ist und gleich nach den Herzfehlern kommt. Sie kann jeden
treffen, denn nur zu 15% tritt die Spaltfehlbildung in Familien
auf, wo bereits Spalten vorgekommen sind. Bei jedem 5. Kind
besteht eine familiäre Vorbelastung, die auch Generationen zurückliegen
kann.
Insgesamt
werden in Deutschland ca. 1500- 1800 Kinder im Jahr mit
der Spaltfehlbildung geboren. Am häufigsten (80%) sind
die einseitigen, durchgehenden Spalten, wo die Lippe, der Kiefer
und der Gaumen betroffen sind (im Volksmund "Hasenscharte"
genannt. Mittelalterlicher Sprachgebrauch, mit Vergleichen aus
der Tierwelt ist für Betroffene jedoch diskriminierend und sollte
unbedingt vermieden werden!). Die Spalte kann auch beidseitig
und durchgehend sein, manchmal ist auch nur die Lippe, Lippe plus Kiefer
oder isoliert der Gaumen betroffen, die Mikroform ist das gespaltene
Zäpfchen.
Die
genauen Ursachen sind noch ungeklärt, man vermutet jedoch die
wachsende Umweltverschmutzung, Rauchen, Drogen, Medikamente
und Alkohol in der Schwangerschaft, schwerer Stress und
Vitaminmangel, eine Durchblutungsstörung im Bereich der betroffenen
Region in der Frühschwangerschaft im Mutterleib oder Infektionskrankheiten
der Schwangeren, die für das Auftreten der Fehlbildung
verantwortlich sein könnten. Es müssen aber erst mehrere Faktoren
zusammen kommen (multifaktorielle Vererbung), damit sich
eine Spaltfehlbildung manifestiert.
Eine
gewisse Vorbeugung für Schwangere ist die Einnahme von Folsäure
und Vitaminpräparaten, möglichst noch bevor die Schwangerschaft
eintritt.
Besonders
wichtig, sowohl für das Neugeborene mit einer Spaltfehlbildung,
als auch für die Mutter, ist eine Trennung nach der Geburt zu
vermeiden, damit sofort eine enge Mutter-Kind-Bindung entstehen
kann. Generell gilt: wenn das Baby keine anderen Fehlbildungen,
Krankheiten oder ein Syndrom hat, ist es ein ganz normales,
gesundes Neugeborenes und muss auch so behandelt werden!
Sehr
wichtig ist auch das Stillen. Oft ist das Gesundheitspersonal
wenig informiert und sowohl das Personal, als auch die Mutter
ist bei den oft schwer fehlgebildeten Mündchen verunsichert.
Dabei hat, sowohl die Muttermilch, als auch das Stillen an sich,
viele Vorteile für das Kind, denn nur Muttermilch hat eine ideale
Nährstoffzusammensetzung und Antikörper, die das Baby vor Infektionen
schützt. Der einzigartige Kontakt, der nur das Stillen bietet,
fördert die gerade hier so wichtige Mutter-Kind-Bindung und
nur die Brust passt sich ideal den veränderten Mundverhältnissen
an. Außerdem wird die Mundmuskulatur durch Stillen gestärkt,
was jedoch einige Wochen dauern kann. Besonders wenn der Gaumen
betroffen ist, muss die Mutter angeleitet werden, Ihre Milch,
so schnell wie möglich nach der Geburt abzupumpen, damit die
Milchbildung möglichst schnell angeregt wird, da das Baby häufig
nicht fähig ist das durch ausreichend starkes Saugen selber
zu schaffen. Die alle 2 Stunden abgepumpte Muttermilch kann
dann einfach, WAEHREND das Baby an der Brust liegt durch einen
„Fingerfeeder“ (eine Spritze mit speziellem Ernähungsaufsatz)
in den Mundwinkel des Babys geträufelt werden. Damit ist eine
ausreichende Nahrungsmenge, sein Wohlbefinden und die ausreichende
Gewichtszunahme gewährleistet. Der sofortige Kontakt zu einer
Stillberaterin IBCLC ist ratsam (www.stillen.org).
Außerdem sollte möglichst noch am Geburtstag vom Kieferorthopäden
oder vom Chirurgen eine Gaumenplatte, auch Mund-Nasen-Trenn-Platte
genannt, angepasst werden, die vor allem die Zunge in ihre physiologische
Position zurückbringt und auch beim Stillen hilfreich ist.
Die Spaltfehlbildung
ist reparabel und wird operativ geschlossen. Es gibt unterschiedliche
Operationsverfahren. Beim mehrzeitigen Konzept wird die Spalte,
entweder von Innen nach Außen, oder von Außen nach Innen in
unterschiedlichen Lebensmonaten und– jahren geschlossen. Die
zweite, neuere Möglichkeit des Spaltverschlusses ist das einzeitige
Konzept, auch „Basler Konzept“ genannt, wo die gesamte Spalte,
um den sechsten Lebensmonat herum komplett geschlossen wird
(www.lkg-ade.ch).
In Deutschland wird dieses Verfahren von Prof. Dr. Dr. Robert
Sader mit seinem Team im Universitätsklinikum Frankfurt durchgeführt.
Trotz viel Polemik zu diesem Konzept, beweist eine Eurostudie,
dass alle existierenden Operationskonzepte zu gleich guten Ergebnissen
führen! Deshalb ist es wichtig, dass betroffene Eltern, die
immer das Beste für ihre Kinder wollen, sich im Vorfeld gut
informieren, sich ein persönliches Bild von Arzt und Klinik
machen und dann ihre persönliche Entscheidung treffen.
Was
das Hören und die Sprachentwicklung angeht, so verläuft diese
meist ganz normal. Manchmal ist
punktuell logopädische Unterstützung und das Einsetzen
von Paukenröhrchen ins Trommelfell nötig, um eine bessere Ohrbelüftung
zu erreichen.
Der
Kontakt zu einer Selbsthilfegruppe ist empfehlenswert (Selbsthilfevereinigung
für Lippen-Gaumenfehlbildungen e.V. Wolfgang-Rosenthal-Gesellschaft,
www.lkg-selbsthilfe.de)
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