Quelle:
Die Ärzte-Zeitung
Brustkrebs
und Gesundheitspolitik
( Brustkrebs-Screening
) : wird sich das mit großem Aufwand im vergangenen Jahr landesweit
eingeführte Brustkrebs-Screening als Windei erweisen?
Die Ärzte-Zeitung wirft den Propagandisten des Brustkrebs-Screenings
„missionarischen Eifer“ , „optische Täuschung“ und „Schönfärberei“
vor.
Die Bilanz der massenhaften Röntgenuntersuchung
(Mammographie-Screening) gesunder Frauen auf Brustkrebs ist
nach Meinung vieler Experten längst nicht so überzeugend, wie
es der Öffentlichkeit weis gemacht wird. Manche Experten bestreiten
gar jeglichen Nutzen des mit jährlich 170 Millionen zu Buch schlagenden
Großprojekts und verweisen auf schwer kalkulierbare zusätzliche
körperliche und seelische Risiken für die teilnehmenden Frauen.
Sie sagen voraus, daß auf jede gerettete Krebspatientin 200-300
Frauen kommen werden, die mit einem falsch positiven Befund konfrontiert
werden.
von Dr. med. Jochen Kubitschek
Für Barbara Dörsch (Name von der Redaktion geändert) war der 7.
Dezember ein schwarzer Tag, den sie nie wieder vergessen wird.
„Als ich am Telefon hörte, daß sich bei der Röntgenuntersuchung
meiner Brust ein verdächtiger Befund ergeben hat, hatte ich das
Gefühl, daß mein Herz in den nächsten Sekunden aufhören wird zu
schlagen. Ich begann unkontrolliert zu zittern und mußte mich
hinsetzen, um nicht umzukippen.“, erinnert sich die Mutter dreier
erwachsener Kinder. Auch heute noch, Wochen nachdem die Gewebeuntersuchung
den Krebsverdacht zerstreut hat, kann die 55jährige Frau die Tränen
kaum unterdrücken: „Für mich stand augenblicklich fest, daß ich
Brustkrebs habe. Seit Jahren fürchtete ich mich vor einem solchen
bösartigen Tumor und nun war ich davon überzeugt, daß meine schlimmsten
Vorahnungen in Erfüllung gegangen waren“.
Massenhafter Psycho-Terror durch falsch positive Befunde
Barbara Dösch ist kein Einzelfall. Einen vergleichbaren seelischen
Schock werden im Zuge des bundesweit angebotenen Mammographie-Screenings
pro Jahr zwischen 200.000 und 300.000 gesunde Frauen erleben,
bei denen sich aufgrund der Röntgenuntersuchung ein vager Verdacht
auf Brustkrebs ergeben wird. Rein rechnerisch werden demnächst
also auf einen verhinderten Brustkrebs-Todesfall etwa 200 bis
300 Frauen kommen, die mit dem schlimmen Verdacht auf Brustkrebs
nach Hause geschickt werden. Doch die so ausgelöste seelische
Qual ist leider nicht die einzige unerwünschte Nebenwirkung des
von den Gesundheitspolitikern als Großtat gefeierten Massen-Screenings.
Mammographie verursacht 100.000 unnötige Operationen
Gegenüber der Frauenzeitschrift Brigitte betonte
Dr. H.-J. Koubenec, Brustzentrum DRK-Kliniken Berlin-Westend,
daß aufgrund falsch-positiver Mammmographie-Befunde pro Jahr schätzungsweise
rund 100.000 überflüssige operative Eingriffe durchgeführt werden.
Die umstrittenen Massenuntersuchungen an gesunden Frauen gehen
auf einen Beschluß des Deutschen Bundestages vom 28. Juni 2002
zurück. Damals beschloß das Parlament, daß ab Januar 2004 alle
Frauen zwischen 50 und 69 Jahren - ohne daß auch nur der geringste
Verdacht auf Brustkrebs vorliegt – alle zwei Jahre Anspruch auf
die Durchführung einer Mammographie haben. In der Vergangenheit
wurden Mammographien von den Krankenkassen nur dann bezahlt, wenn
ein Verdacht auf einen Brusttumor vorlag.
Qualitätsmanagement nach EU-Norm soll in Zukunft die Diagnosen
zuverlässiger machen
Im Gegensatz zum Mammographie-Screening unterliegen die im Zusammenhang
mit der Krebsvorsorgeuntersuchung durchgeführten Röntgenuntersuchungen
der Brust allerdings keinem besonderen Qualitätsmanagement. Daher
können sie auch von relativ unerfahrenen Ärzten durchgeführt und
mit den Krankenkassen abgerechnet werden. Dies erhöht natürlich
die Gefahr von Fehldiagnosen. Daher fordert Professor Dr. Ingrid
Schreer, stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft
für Senologie, daß die gesetzliche Krebsvorsorge mit dem nach
EU-Norm qualitätsgesicherten Mammographie-Screening zusammengelegt
wird: „Alles andere ist Unsinn“ meint sie.
Ergebnisse des Mammographie-Screenings enttäuschten im Ausland
Zwar erscheint die Idee eines regelmäßig alle zwei Jahre wiederholten
Mammographie-Screenings auf den ersten Blick sinnvoll zu sein,
da in Deutschland pro Jahr mehr als 50.000 Frauen neu an Brustkrebs
erkranken, von denen pro Tag etwa 50 Frauen an dem furcherregenden
Tumor sterben. Doch wird die Gesamtbilanz des Screenings positiv
sein? Kritiker bezweifeln dies. In der Vergangenheit konnten
sie sich aber gegenüber der Lobby aus Frauenverbänden, Gesundheitspolitikern,
Frauen- und Röntgenärzten nur schwer Gehör verschaffen. Doch nun
hat sich das Fachblatt Ärzte-Zeitung zu ihrem Sprachrohr gemacht.
Die viel gelesene Tageszeitung für Ärzte wies in mehreren Artikeln
darauf hin, daß der Effekt des bereits in Holland, Finnland und
Schweden eingeführten Screenings aus medizinischer Sicht mehr
als fragwürdig ist.
Kosten liegen im Jahr bei 170 Millionen Euro
Zielgruppe des Mammographie-Screenings sind in Deutschland rund
6 Millionen Frauen in der Altersgruppe von 50 bis 69 Jahren. Eine
Teilnehmerquote von mindestens 70% wird angestrebt. Wird dieses
ehrgeizige Ziel erreicht, so müssen die Krankenkassen jährlich
für die Röntgenuntersuchungen von 2 Millionen Frauen etwa 134
Millionen Euro ausgeben. Mit den Kosten für die weiterführende
Diagnostik und die Organisation der Aktion werden die Krankenkassen
rund 170 Millionen Euro berappen müssen. Und was bekommt die Gesellschaft
dafür? Befürworter des Screenings sagen voraus, daß in der Gruppe
dieser
2 Millionen Teilnehmerinnen pro Jahr vermutlich etwa 3.000 Frauen
vor dem Krebstod gerettet werden können.
Im benachbarten Holland hat sich nämlich gezeigt, daß von 1.000
Frauen im Alter von 50 bis 70 Jahren innerhalb von zehn Jahren
23 an Brustkrebs erkranken von denen 10 am Krebs sterben. Durch
das Mammographie-Screening könnte die Zahl der Brustkrebs-Toten
von 10 auf 7 sinken.
Brustkrebs-Risiko schrumpft real um enttäuschende 0,3%
Diese drei geretteten Leben entsprechen einer Abnahme des „relativen“
Sterberisikos von 30%. Betrachtet man aber das tatsächliche („absolute“)
Sterberisiko, so sinkt dieses lediglich von 1% auf 0.7%. Und eine
solche Senkung um 0.3% hört sich schon weit weniger beeindruckend
an. Die Ärzte-Zeitung sprach daher von einer bewußten „Schönung“
des Nutzen–Risiko-Verhältnisses der teuren Screening-Untersuchungen
und warf den Propagandisten „Kommunikation mit optischer Täuschung“
vor. Ähnlich wie in Holland, rechtfertigen auch die in Schweden
erhobenen Zahlen begründete Zweifel am Sinn des Mammographie-Screenings.
Hier war die Risikosenkung noch niedriger als in Holland.
Die in Bremen residierende Zentralstelle für die Verwirklichung
der Gleichberechtigung der Frau (ZGF) kommentierte die Erfahrungen
mit dem Screening desillusioniert so: „Setzt man die Zahlen der
schwedischen Studie ins Verhältnis zur Gesamtsterblichkeit, kann
verkürzt folgendes gesagt werden: in zehn Jahren sterben gleich
viele Frauen unabhängig von einem Screening.“
Praktischer Nutzen des Screenings nahezu Null
Selbstverständlich zählt jedes gerettete Leben – doch die Kritiker
der Screening-Idee geben zu bedenken, daß die Chance jeder einzelnen
Frau zu den Gewinnerinnen der „Screening-Lotterie“ zu gehören
mit 0.3% nicht sehr groß ist.
Man muß daher kein Berufs-Nörgler sein, um - wie die Ärzte-Zeitung
– für die Zukunft eine nicht geschönte Kosten-Nutzen-Analyse zu
fordern. Nur dann kann sich die einzelne Frau aufgrund von Fakten
und nicht von Vorurteilen des jeweiligen Arztes für oder gegen
die Mammographie entscheiden. Brustkrebs-Experte Koubenec kommt
schon heute zu einer eher negativen Bilanz: „Wenige Frauen profitieren
vom Brustkrebs-Screening, viele nehmen Schaden.“
Diese eher pessimistische Sicht wird von Dr. Friederike M. Perl,
Frauenärztin in Stuttgart und Belegärztin am Brustzentrum des
Diakonie-Klinikums geteilt, die in der Ärzte Zeitung daran erinnerte,
daß immerhin bei etwa 15% aller am Screening teilnehmenden Frauen
ein falsch-positiver Befund erhoben wird, der weitere Untersuchungen
oder gar Eingriffe erforderlich macht und in jedem Fall die betroffenen
Frauen seelisch sehr belastet. Diesen 15% stehen nur 0.5% der
Fälle gegenüber, in denen sich aus der Mammographie tatsächlich
ein behandlungsbedürftiger Befund ergibt.
Psychischer Schock wird von vielen Ärzten offenbar nicht ernst
genommen
Die Befürworter des Brustkrebs-Screenings sind der Meinung, daß
die seelischen Folgen der falsch-positiven Verdachtsdiagnosen
von den Skeptikern übertrieben werden. In der Ärzte Zeitung äußerten
sie die Meinung, daß ein „falscher Alarm“ die Frauen nur kurzfristig
verunsichert, da die Abklärung des fraglichen Befundes ja relativ
schnell innerhalb von 1-2 Wochen erfolgt. Doch Friederike Perl
sieht dies anders und verweist darauf, daß Überdiagnostik viele
neue Risiken schafft.
In den USA hat sich nämlich gezeigt, daß in zehn Jahren rund 50%
der am Screening teilnehmenden Frauen aufgrund eines zweideutigen
Befundes von ihrem Frauenarzt erneut einbestellt werden – hierfür
hat sich der Begriff „Recall“ eingebürgert. Ein solcher Recall
führt dazu, daß viele Frauen auch sechs Monate nach abgeschlossener
Diagnostik unter einem höheren Stressniveau leiden. „Daß ein solcher
Recall nicht belastend sein soll ist ein längst widerlegter Wunsch“,
sagt Perl.
Auch ein früh entdeckter Krebs ist oft kein Grund zur Freude
Doch selbst wenn tatsächlich ein Brustkrebs früh entdeckt wird,
ist dies nicht zwangsläufig eine gute Sache. Es werden nämlich
auch Tumore bei Frauen entdeckt, die an dem Krebs erfahrungsgemäß
nie gestorben wären. Diese Patientinnen-Gruppe wird aufgrund des
Screenings durch den Verlust an gesunder und therapiefreier Lebenszeit
seelisch und körperlich schwer belastet. Im schlimmsten Fall kann
im Einzelfall nicht einmal ausgeschlossen werden, daß eine Frau
an den Folgen einer aggressiven Krebstherapie stirbt, deren Brusttumor
nicht zum Tode geführt hätte.
Besonders schlimm sind aber jene Patientinnen betroffen die trotz
der regelmäßigen Teilnahme am Mammographie-Screening, und der
frühen Entdeckung eines Brustkrebses, sterben werden. „Es ist
nicht wünschenswert, diese therapeutisch ohnehin nicht zu beeinflussenden
Krebsfälle frühzeitig – also bevor der Tumor Beschwerden macht
- zu entdecken“, konstatiert Perl in der Ärzte-Zeitung und erinnert
daran, daß durch die frühzeitige Entdeckung des Tumors die ohnehin
kurze verbleibende Lebenszeit durch Angst, Depressionen und nutzlose
Therapieversuche zusätzlich vergiftet wird.
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