Quelle:
Pan American Journal of Public Health
Es
muß nicht Balsam-Essig sein - mit billigem Speise-Essig gegen
Gebärmutterhalskrebs
Ein schnell und einfach durchzuführender Test auf bösartige
Zellenwucherungen des Gebärmutterhalses ist nicht nur spottbillig,
sondern führt aufgrund der sofort zu stellenden Verdachtsdiagnose
sogar dazu, daß sich gerade in Ländern mit problematischer Infrastruktur
des Gesundheitswesens deutlich weniger Frauen den erforderlichen
Nachuntersuchungen entziehen.
Von Dr. med. Jochen Kubitschek
Geld- und Ärztemangel, sowie unzureichende Organisationsstrukturen,
führen in den meisten Ländern dazu, daß eine effektive Krebs-Früherkennung
nicht angeboten wird. Selbst beim vergleichsweise leicht zugänglichen
Krebs des Gebärmutterhalses (Zervixkarzinom) versagen viele Gesundheitssysteme
auf ganzer Linie. Daher verlieren weltweit Jahr für Jahr etwa
230.000 Frauen ihr Leben – 80% davon in ärmeren Ländern. Bis zum
Jahr 2020 sagen Experten sogar eine Zunahme dieses Todeszolls
auf jährlich 750.000 Frauen voraus. Doch dieses Massensterben
müßte nicht sein, wenn man eine billige und in wenigen Minuten
durchzuführende Untersuchung auf allen Ebenen der derzeit überforderten
Gesundheitsysteme breit anwenden würde. Dies wurde in der Vergangenheit
nicht getan, da noch viel zu viele Gesundheitsprofis zu dem Trugschluß
neigen, daß billige Untersuchungsmethoden nichts taugen können.
Ein billig mit normalem Speise-Essig durchzuführender Orientierungstest
könnte bedrückende Versorgungslücke schließen
Eine Forschergruppe um Dr. Jose Jeronimo hat in Peru am Nationalen
Krebsinstitut unter Einschluß von 1.921 Frauen eine Studie durchgeführt
die nun im Pan American Journal of Public Health veröffentlicht
wurde. Die Forscher analysierten den praktische Nutzen einer extrem
billigen Untersuchung, die den Namen VIA (Visual inspection with
acetic acid) trägt.
Bei der in wenigen Minuten durchzuführenden VIA-Untersuchung wird
der Muttermund der zu untersuchenden Frau etwa eine Minute lang
mit normalem Speise-Essig beträufelt und dann vom Untersucher
mit dem bloßen Auge begutachtet. Verfärben sich einige Bereiche
der rosa Schleimhaut weiß, so ist dies ein erster Hinweis darauf,
daß sich möglicherweise bösartige Zellverbände entwickelt haben.
Das Verfahren ist nicht sehr genau – doch auch der weltweit im
Zuge der Früherkennung des Muttermundkrebses übliche Alternative
- Pap-Test - produziert zahlreiche falsche „Positiv-Ergebnisse“.
Billigmethode ist auch für Krankenhäuser geeignet
Während man bisher immer davon ausging, daß simple und billige
Methoden wie die VIA nur für die in den Slums lebenden Ärmsten
der Armen geeignet sind, belegt die Studie aus Peru, daß dieses
Vorurteil falsch und kontraproduktiv ist. Erstmalig konnte in
der Studie nämlich gezeigt werden, daß das auch in Deutschland
schon länger bekannte billige Testverfahrens auch dann nützlich
ist, wenn es in „normalen“ Kliniken zum Einsatz kommt, in denen
eine moderne Diagnostik technisch möglich ist.
Die Vorteile der simplen VIA konnten im Verlauf der Untersuchung
überraschend eindeutig demonstriert werden: im Gegensatz zum Pap-Test
der bei jeder zweiten Patientin durchgeführt wurde, erfuhren die
Frauen unmittelbar nach der Einwirkung der schmerzlosen Essigdusche,
ob ein konkreter Verdacht auf eine bösartige Erkrankung besteht,
oder ob sie unbesorgt nach Hause gehen können.
Sofort-Beratung motiviert die Frauen „am Ball“ zu bleiben
Mit dieser erstmals möglichen Sofort-Beratung würde der größte
Schwachpunkt des bisher üblichen Umgangs mit dem lebensbedrohlichen
Frauenleiden entfallen: im Zuge der Untersuchung zeigte sich nämlich,
daß 26% der Frauen, bei denen sich mit Hilfe des Standard-Pap-Test
ein Verdacht auf Krebs ergeben hatte, nicht zu den erforderlichen
weiteren Arztterminen erschienen. Somit war in diesen Fällen weder
eine weitere Abklärung des Krebsverdachts möglich, noch konnte
eine eventuell erforderliche Behandlung eingeleitet werden. Im
Gegensatz dazu nahmen 97% der Frauen, bei denen sich nach der
VIA-Untersuchung ein Verdacht auf Muttermundkrebs ergeben hatte,
den zweiten Arzttermin wahr.
Wenn aber jede vierte Frau selbst bei der Durchführung der Untersuchung
am renommierten Nationalen Krebsinstitut weitere Untersuchungstermine
einfach platzen läßt, dann gehört wenig Phantasie dazu sich vorzustellen,
wie hoch die Verweigerungsrate in den Wald-und-Wiesen-Praxen ärmerer
Länder ist. Die Autoren der Untersuchung empfahlen daher für die
Zukunft ausdrücklich den Einsatz der billigen Alternative zum
fehlerträchtigen und aufwendigen Pap-Test auf allen Stufen des
jeweiligen Gesundheitssystems.
Auch in Deutschland ist die Situation alles andere als optimal
In Deutschland hat der Gebärmutterhalskrebs (Zervixkarzinom) unter
anderem aufgrund der von allen Krankenkassen vom 20. Lebensjahr
kostenlos angebotenen Früherkennungsuntersuchungen einiges von
seinem Schrecken verloren. Er rangiert in der Krebsstatistik mit
12 von 100.000 Frauen (Jahr 2001) erst an vierter Stelle. Doch
auch hier könnte die Situation weiter verbessert werden da nur
jede zweite Frau zur Krebs-Früherkennungsuntersuchung geht. Denn
obgleich die von dem griechischen Arzt George N. Papanicolaou
1928 erstmalig in einer wissenschaftlichen Publikation vorgestellte
und heute als „Pap-Test“ bekannt gewordene Zelluntersuchungen
sehr viel aufwendiger als die einfache VIA-Untersuchung sind,
überzeugt das Verhältnis zwischen Kosten und tatsächlichem Nutzen
längst nicht alle Patientinnen und Ärzte.
Mit Speise-Essig gegen „Wackelpeter“
Selbst in Deutschland fallen nämlich bei den Krebs-Früherkennungsuntersuchungen
zahlreiche falsche „Positiv-Krebs-Verdachtsdiagnosen“ an, da die
erste Beurteilung der Zellabstriche meist von medizinisch-technischem
Hilfspersonal durchgeführt wird. Diese häufigen Fehlbeurteilungen
stellen für die betroffenen Frauen eine große seelische Belastung
dar und machen teure zusätzliche Untersuchungen erforderlich,
die ihrerseits auch wieder mit Risiken behaftet sind. Es würde
daher nicht schaden, wenn die kaum Kosten erzeugenden
VIA-Untersuchung auch außerhalb der strukturierten Früherkennungsuntersuchung
bei jeder frauenärztlichen Untersuchung zum Einsatz käme.
An der Uni Hannover ergaben sich beispielsweise bei einer an 8.500
Frauen durchgeführten Screening-Untersuchung auf Gebärmutterhalskrebs
86 Verdachtsfälle. Als später externe Experten die Befunde kontrollierten,
konnten sie die Verdachtsdiagnose Krebs nur in 46 Fällen bestätigen.
Das ergibt aber eine stolze primäre Fehlerrate von über 50%. Angesichts
dieser Schwächen des Standard-Pap-Tests verwundert es nicht, daß
einer der Leiter der Studie, der Frauenarzt Karl Ulrich Petry,
nicht viel von der Effizienz der derzeit mit großem Finanzaufwand
landesweit angebotenen Krebs-Früherkennungsuntersuchungen hält:
„Beim primären Zervixkarzinom-Sceening hat man manchmal das Gefühl,
einen „Wackelpudding“ an die Wand nageln zu wollen. Die erhobenen
Befunde sind nicht wirklich verläßlich.“ Diese und vergleichbare
negative Erfahrungen mit den teuren und wenig effizienten Methoden
der modernen Medizin zeigen, daß für ärmere Länder entwickelte,
kostensparende Ersatzstrategien beim Kampf gegen den Krebstod
- insbesondere bei breiter Anwendung - durchaus Sinn machen könnten.
|